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Veränderungen mit Urgency meistern

Kennen Sie das? Ihr Change Projekt scheitert trotz aller Mühen? Bei einem erneuten Versuch einige Jahre später läuft die gleiche Idee durch. Warum ist das so?

Als Berater:innen werden wir in der Regel vom Management in Projekte gerufen, die eine Veränderung mit sich bringen. Doch im operativen Alltag stoßen wir oft auf taube Ohren. Im Gegensatz zu den Auftraggeber:innen sehen die Mitarbeiter:innen keine Dringlichkeit und reagieren mit Ablehnung oder Zynismus. Ihnen fehlt die Zeit für die Umsetzung, die Veränderung empfinden sie als x-te Maßnahme oder neue Mode des Managements.

John Kotter beschreibt in seinem Buch Leading Change den "True sense of urgency" , das Gefühl der Dringlichkeit, als Grundlage für jede erfolgreiche Veränderung. Nur wenn diese Dringlichkeit weiten Teilen der Organisation bewusst ist, hat eine Maßnahme Chancen auf langfristige Wirkung und Erfolg. Kotter nennt zwei Gründe, warum manche Veränderungsvorhaben schon im Ansatz in Probleme kommen: Die Dringlichkeit ist aufgrund von Selbstgefälligkeit ("Complacency") nicht spürbar oder es herrscht ein falsches Dringlichkeitsgefühl ("False sense of urgency") vor.

Neigt Ihr Management auch zu viel „Happy talk“?

Selbstgefälligkeit ist eine Eigenschaft, die bei vielen in der Vergangenheit erfolgreichen Organisationen beobachtet werden kann. Diese Organisationen sind stark nach innen fokussiert, um ihre Prozesse bis ins Letzte zu optimieren. Auf die Konkurrenz wird oft herabgeschaut. Schließlich hat die eigene Organisation schon viele schwierige Situationen gemeistert und man weiß, was man kann. Die Selbstgefälligkeit wird erkennbar durch viele zur Verfügung stehende interne Ressourcen. Weiterhin gibt es sehr viel "Happy talk" des Managements und ein "Kill the messenger"-Phänomen, wenn es Mitarbeitende oder Externe gibt, die die Zukunftsfähigkeit infrage stellen.

Ist Ihr Management ständig in Terminen mit wenigen Ergebnissen?

Im Fall des falschen Dringlichkeitsgefühls wurde zunächst erkannt, dass sich etwas ändern muss. Es artet jedoch in Form von Hektik aus: Mannigfaltige Programme, Projekte und Maßnahmen zeigen sich in unzähligen Meetings, Workshops und augenscheinlicher Betriebsamkeit. Doch die klare Zielrichtung fehlt. In Organisationen lässt sich das häufig beobachten, wenn ein hohes Maß an Frustration, Zynismus oder Erschöpfung vorherrscht. Das sind Anzeichen dafür, dass die Energie nicht zielführend eingesetzt wird.

Auffällig ist, dass weder selbstgefällige Personen noch Personen mit falschem Dringlichkeitsgefühl sich selbst als solche wahrnehmen. Sie selbst sehen sich als völlig rational handelnde Individuen unter den von der Organisation oder Umwelt vorgegebenen Umständen.

Was können Sie tun, um einen "True Sense of Urgency" zu erreichen?

Kotter schlägt in seinem Buch A Sense of Urgency vier Maßnahmen vor. Folgende zwei sind nahezu unabhängig von der Position im Unternehmen im Alltag umsetzbar[1]:

"Bring the outside in"

Wie oben beschrieben haben gerade in der Vergangenheit erfolgreiche Unternehmen das Problem, dass sie ihren Fokus stark nach innen richten und die Umwelt vernachlässigen. Dabei ist die Grundlage für ein starkes Dringlichkeitsgefühl, dass die Organisation ihre Situation im Markt und die potenziellen Gefahren und Chancen kennt.

Der klassische Ansatz, um Erfahrungen von außen in die eigene Organisation zu bringen, ist das Engagement von externen Berater:innen. Aber auch innerhalb der eigenen Struktur finden sich Möglichkeiten: Den Mitarbeitenden an der Schnittstelle nach außen (Vertrieb, Kundenservice, etc.) kann ein stärkeres Gewicht gegeben werden. So kann durch beispielsweise Kundenumfragen und Marktanalysen die Sicht von außen eingebunden werden. Eine einfache, aber effektive Möglichkeit ist zum Beispiel das regelmäßige Lesen (und Ernstnehmen!) von AppStore-Bewertungen zu den eigenen Apps. Dabei ist es wichtig, die Erkenntnisse nicht in den jeweiligen Abteilungen zu belassen, sondern breit zu kommunizieren. Zum Beispiel sollte auch das Entwicklungsteam nicht von kritischen Bewertungen und unzufriedenen Kundenstimmen abgeschirmt werden, sodass durch das direkte Konfrontieren mit dem Feedback das Dringlichkeitsgefühl aller gesteigert wird.

"Behave with urgency every day"

Im Arbeitsalltag trifft man immer wieder auf folgende Situation: Ein Thema wird als höchste Priorität deklariert, der Termin mit dem Management, um nächste Schritte zu besprechen ist aber frühestens in zwei Wochen möglich. Dieser Widerspruch zwischen Aussage und Handeln wird natürlich auch den Mitarbeitenden deutlich. Und woher sollen sie nun wissen, ob dieses Thema wirklich wichtig ist? Daher ist es erforderlich jederzeit die notwendige Dringlichkeit erkennen zu lassen. Also am besten: Terminkalender für das Thema freiräumen und jederzeit ansprechbar sein oder auch Dokumente und Präsentation direkt erstellen und verschicken. So wird durch das eigene Handeln deutlich, dass das Thema eine hohe Priorität hat – und Handeln wirkt stärker als viele Worte.

Diese zwei Punkte tragen dazu bei, dass in der Organisation ein wahres Gefühl der Dringlichkeit für eine Veränderung entstehen kann. Und nur wenn dieses ausreichend vorhanden ist, kann die Auseinandersetzung mit der konkreten Umsetzung stattfinden. Daher ist es wichtig innerhalb der eigenen Organisation zu beobachten, wie ein Thema behandelt und besprochen wird, um den Grad des wahren Dringlichkeitsgefühls aufzudecken. Dabei muss auch die eigene Rolle immer wieder reflektiert werden: Niemand ist gefeit davor, selbstgefällig zu werden oder mit einem falschen Gefühl von Dringlichkeit zu agieren!


[1] Die beiden anderen Maßnahmen sind Chancen in Krisen zu finden ("find opportunity in crises") und der Umgang mit ständigen Neinsagern ("deal with the nonos").