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Vom Atom-U-Boot lernen

Das übliche Führungsmodell beschreibt Marquet als Leader-Follower: Auf einem U-Boot ist der Kapitän Leader. Er entscheidet und gibt Befehle. Die gesamte Besatzung, insgesamt 135 Menschen, sind Follower. Sie befolgen die Befehle.

Sein Führungsmodell hingegen nennt er Leader-Leader: Hier entscheiden alle 136 Besatzungsmitglieder im Bereich ihrer Expertise und kommunizieren miteinander, um die Ziele bestmöglich zu erreichen.

Ist Leader-Leader das überlegene Modell? Laut Marquet ganz klar: Ja! Ein einziger, selbst sehr guter, Kapitän kann niemals besser sein als 135 motivierte, mitdenkende Menschen. Die Entscheidungs- und Informationsstrukturen werden effektiver, das System selbst weniger anfällig für die Fehler Einzelner, und Karrieren ergeben sich natürlicher: Wenn man als Untergebener schon Führungsaufgaben mit Vorgesetzten teilt, ist der Schritt zum Vorgesetzten leichter.

Empowerment

Marquet zufolge sind Menschen von Natur aus aktive Wesen:

It seemed to me that humans are born in a state of action and natural empowerment. After all, it wasn’t likely that a species that was naturally passive could have taken over the planet. Empowerment programs appeared to be a reaction to the fact that we had actively disempowered people. Additionally, it seemed inherently contradictory to have an empowerment program whereby I would empower my subordinates and my boss would empower me. I felt my power came from within, and attempts to empower me felt like manipulation.

Mit dieser Einschätzung ist Marquet nicht allein, sondern vertritt die Auffassung der Psychologie-Forschung, dass Hierarchisierung und der damit verbundene Mangel an Autonomie demotivieren und Resignation fördern. Das immer häufiger im Unternehmenskontext genannte Empowerment ist damit der Versuch, Menschen zu Aktivität und Anteilnahme zu manipulieren, die man zuvor durch die vorherrschenden Strukturen in die Passivität gedrängt hat.

Gespräche an Bord der Santa Fe machen diesen Zustand deutlich:

“Hi, what do you do on board?” By asking open-ended questions like this, I could better gauge what the crew thought their job was. “Whatever they tell me to do,” he immediately replied with unmistakable cynicism. […] Who, exactly, was the “they” in the statement “whatever they tell me to do”? Wasn’t “they” us?

Marquet stellt hier fest, dass es insbesondere die Aufgabe der Führungskräfte ist, die Menschen gar nicht erst in die Resignation zu drängen. Was also sollten „they”, also die Führungskräfte, tun oder lassen, um das zu vermeiden? Die Grundlage für Leader-Leader ist der Dreiklang aus Kontrolle (control), Kompetenz (competence) und Klarheit (clarity).

Kontrolle

“Don’t move information to authority, move authority to the information.”

Unter dem Schlagwort Kontrolle versteht Marquet die wirkliche Abgabe von Entscheidungskompetenz der Führungskräfte an die Personen, die die Entscheidung am besten treffen können: Diejenigen, die die Informationshoheit bei dem Thema haben. Bei operativen, nicht strategischen Fragen ist das in der Regel recht weit unten in der Hierarchie. Gerade in etablierten Organisationen hat sich aber oft das Gegenteil entwickelt und viele Entscheidungen liegen im Management. Die simple Maßnahme, die Marquet an der Stelle vorschlägt ist: Sucht nach Entscheidungen, die Ihr verlagern könnt – und tut es. Wirklich. Ohne Euch Hintertüren offenzuhalten. Ist die erste (einfache) Entscheidungskompetenz gefunden und nach unten verlagert, solltet Ihr aber nicht aufhören, sondern die nächste suchen.

Kontrolle heißt also Kontrolle geben, nicht Kontrolle nehmen.

Das ist einfacher gesagt als getan. Denn es gibt entgegenstrebende, selbstverstärkende Mechanismen, die die Entscheidungskompetenz wieder in der Hierarchie nach oben treiben:

[I]t seemed clear that the crew was in a self-reinforcing downward spiral where poor practices resulted in mistakes, mistakes resulted in poor morale, and poor morale resulted in avoiding initiative and going into a survival mode of doing only what was absolutely necessary. In order to break this cycle, I’d need to radically change the daily motivation by shifting the focus from avoiding errors to achieving excellence.

Diese Beobachtung erinnert an das Konzept Psychologische Sicherheit: Damit Teams und Organisationen sich verbessern können, müssen Fehler besprechbar sein, ohne dass Strafe oder Demütigung droht. Dazu muss die Organisation wiederum das aufrichtige Interesse haben, Fehler in den eigenen Strukturen und Prozessen zu finden und nicht monokausal bei den Mitarbeiter:innen. 

Interessanterweise zeigt die Forschung aus dem Buch The Fearless Organization (Amy C. Edmondson 2018) zur Psychologischen Sicherheit auch, dass High-Performance-Teams eine im Vergleich zu anderen Teams hohe Fehlerquote haben. Zum Beispiel in Krankenhaus-OP-Teams. Und wer will nicht von einem OP-Team mit hoher Fehlerquote operiert werden? Die Erklärung: Starke Teams verschweigen Fehler nicht. Sie lernen daraus.

Um aus Problemen lernen zu können, brauchen Teams neben der Freiheit vor allem auch Zeit, darüber nachzudenken und selbst nach Lösungen zu suchen. Marquet beobachtet:

How many times do issues that require decisions come up on short notice? If this is happening a lot, you have a reactive organization locked in a downward spiral. When issues aren’t foreseen, the team doesn’t get time to think about them; a quick decision by the boss is required, which doesn’t train the team, and so on. No one has time to actually think through the issue.

Daher müssen Führungskräfte dem naheliegenden Impuls widerstehen, schnelle Lösungen für operative Probleme anzubieten. Das untergräbt nicht nur die Entscheidungskompetenz, sondern verhindert Lernprozesse. Marquet formuliert dazu die Lernfrage:

“What causes us to take control when we should be giving control?”

Einige Antworten liefert Turn The Ship Around. Das Buch lädt aber auch immer wieder zur Selbstbeobachtung und Reflexion ein, denn das eigene Handeln und die persönliche Einstellung zu hinterfragen ist ebenso wichtig wie die theoretische Erkenntnis.

Kompetenz

Control without competence is chaos.

Also einfach Kontrolle geben und zurücklehnen? Dass das kein Erfolgsmodell ist, zeigt sich auf der Santa Fe schon bei der Suche nach Entscheidungskompetenz, die man delegieren könnte: Die Führungskräfte bezweifeln, dass das möglich ist, ohne dass Chaos ausbricht. Man könnte jetzt sagen: Also doch wieder Leader-Follower! Doch Marquet resümiert zu seinen Erfahrungen, dass meist zwei Gründe dafür verantwortlich sind, dass Führungskräfte zweifeln: Sie trauen Mitarbeitern etwas handwerklich nicht zu – das nennt er die technische Kompetenz. Oder sie bezweifeln, dass die Mitarbeiter die nötigen Zusammenhänge kennen und verstehen – das nennt er organisatorische Klarheit. Die Alternative lautet also: Kompetenz aufbauen und Klarheit herstellen.

Ein zentrales Konzept für Kompetenz auf der Santa Fe ist das bewusste Handeln (deliberate action):

This meant that prior to any action, the operator paused and vocalized and gestured toward what he was about to do, and only after taking a deliberate pause would he execute the action. Our intent was to eliminate those “automatic” mistakes. Since the goal of “take deliberate action” was to introduce deliberateness in the mind of the operator, it didn’t matter whether anyone was around or not. Deliberate actions were not performed for the benefit of an observer or an inspector. They weren’t for show.

Dieses bewusste Handeln bleibt also keine reine Forderung, sondern enthält die konkrete Handlungsanweisung, die eigene Handlung vor der Ausführung zu verbalisieren. Und zwar unabhängig davon, ob man allein ist oder jemand zuschaut. Das hilft, die eigenen Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst zu beobachten, sich über die eigenen Intentionen klar zu werden und besser aus ihnen zu lernen. Es ergeben sich auch Vorzüge bei der Team-Arbeit: Hört man ein Team-Mitglied etwas ankündigen, kann man wichtige Informationen beisteuern, sein eigenes Verhalten besser auf die Situation abstimmen, aber auch auf Fehler hinweisen, bevor sie passieren.

Diese Methode ist als „Pointing and Calling“ bei japanischem Zugpersonal zu beobachten. Es wirkt recht exzessiv, also was erreichen die Eisenbahner damit? Sie handeln selbst bei Routineaufgaben bewusst und senken damit die Fehlerrate im Zugbetrieb um 85%!

Das Konzept ist in Japan schon lange aus Kampfkünsten bekannt: Kampfschreie, heute prominenterweise im japanischen Schwertkampf Kendo zu finden, dienen der Einigung von Geist, Waffe und Körper. Ein Kendo-Kämpfer ruft laut aus, welchen Angriff er durchführt und sorgt dafür, dass sich die volle Konzentration genau darauf ausrichtet, und keine Bewegung „wischi-waschi“ daherkommt.

Also Kampfschreie im Büro? Eher nicht. Aber Checklisten oder Templates vielleicht.

Selbstreflektiertes Handeln ist das eine, technische Kompetenz muss aber natürlich trotzdem gelernt sein. Das Idealbild im Leader-Leader-Modell erzeugt mehr Raum für die Übernahme von Kontrolle:

Want to have a training program that employees will want to go to? Here’s how it should work: The purpose of training is to increase technical competence. The result of increased technical competence is the ability to delegate increased decision making to the employees. Increased decision making among your employees will naturally result in greater engagement, motivation, and initiative.

Klingt einfach, aber auch einfache Dinge gehen oft in Gewohnheiten unter. Diese Zusammenhänge machen deutlich: Training ist dann am besten, wenn es die eigene Entscheidungsfähigkeit steigert und damit ermöglicht, mehr Entscheidungsbefugnisse zu übernehmen. Das Trainingsangebot sollte daher mit diesem Ziel gestaltet werden.

Klarheit

Selbstreflektiertes Handeln und technische Kompetenz sind notwendige Bedingungen, aber noch nicht hinreichend. Denn um beim Führen eines Projektes (oder U-Bootes) Erfolg zu haben, ist zusätzlich Klarheit über die Ziele der Organisation nötig. Das sind die direkten Ziele, die es in nächster Zeit zu erreichen gilt, sowie die Leitprinzipien als Grundlage für Entscheidungen.

Auf der Santa Fe sind dies die auch aus Scrum bekannten Werte Commitment, Offenheit und Mut. Um diese Werte mit dem Alltag zu verbinden, wurde auf der Santa Fe explizit auf sie Bezug genommen, wenn es um Beförderungen oder Auszeichnungen ging. Aber Vorsicht: 

Guiding principles have to accurately represent the principles of the real organization, not the imagined organization.

Ehrlichkeit ist also gefragt. Sonst werden die Prinzipien nicht ernst genommen oder leiten Mitarbeiter in die Irre – und Konflikte sind programmiert.

Klarheit hilft dabei, Organisationsinteresse und Individualinteresse übereinzubringen. Die Entwicklung jedes Einzelnen sollte in den Arbeitsalltag integriert werden und nicht nur in der Freizeit passieren müssen. Doch dieser Anspruch hat Grenzen, wenn Interessen nicht übereinstimmen:

Taking care of your people does not mean protecting them from the consequences of their own behavior. That’s the path to irresponsibility. What it does mean is giving them every available tool and advantage to achieve their aims in life, beyond the specifics of the job. In some cases that meant further education; in other cases crewmen’s goals were incompatible with Navy life and they separated on good terms.

Kommunikation

Viele Mechanismen aus Turn The Ship Around sind Kommunikationsmaßnahmen, die Kontrolle, Kompetenz und Klarheit stärken. Der wohl wichtigste Mechanismus ist „Ich beabsichtige…“ („I intend to…“):

[O]fficers approached me with “I intend to.” “Captain, I intend to submerge the ship. We are in water we own, water depth has been checked and is four hundred feet, all men are below, the ship is rigged for dive, and I’ve certified my watch team.” “Very well.”

Die Offiziere sind also angehalten, nicht nur Befehlsempfänger zu sein, sondern selbstständig die Befehle vorauszuahnen und zusammen mit der Begründung an den Kapitän heranzutragen, sodass dieser nur noch zustimmt.

Ziel ist, eine Verantwortungsübernahme für Entscheidungen zu fördern. Sonst birgt das die Gefahr, dass Befehlsempfänger Mitdenken und Widerspruch unterlassen, weil der Kapitän immer recht hat. Marquet beobachtet, dass seine Befehle große Wirkungen haben. Aber falsche Befehle auch.

Außerdem betont Marquet die Wichtigkeit von frühen Gesprächen, damit das Team stets im Bilde über die aktuelle Situation ist:

[Short, early conversations] is a mechanism for control because the conversations did not consist of me telling them what to do. They were opportunities for the crew to get early feedback on how they were tackling problems. This allowed them to retain control of the solution. These early, quick discussions also provided clarity to the crew about what we wanted to accomplish. Many lasted only thirty seconds, but they saved hours of time.

Eine herausragende Rolle spielt die informelle Kommunikation, um Klarheit herzustellen und Kontrolle zu ermöglichen:

Words like “I think …” or “I am assuming …” or “It is likely …” that are not specific and concise orders get written up by inspection teams as examples of informal communications, a big no-no. But that is just the communication we need to make leader-leader work.

Und:

Thinking out loud is essential for making the leap from leader-follower to leader-leader.
[However, t]here was a strong cultural bias against thinking out loud.

So, in order to make the fewest mistakes when reporting on things, we say as little as possible. This is a problem throughout the submarine force, and we worked hard to encourage the entire crew to say what they saw, thought, believed, were skeptical about, feared, worried about, and hoped for the future. In other words, all the things that don’t show up in the Interior Communications Manual. We realized we didn’t even have a language with which to express uncertainty and we needed to build that.

Kommunikation wird oft nur auf die Sachebene beschränkt. Dabei spielt auch die Beziehungsebene eine ebenso große Rolle. Kommunikation zu verkürzen, zu verzögern oder zu formalisieren, lenkt hingegen den Fokus stärker auf den Prozess und die Aufgabe. Die soziale Komponente – und damit ein großer Teil der Effektivität – kommt so zu kurz.

Es gibt nichts Gutes außer man tut es

I had suffered through many wasted hours listening to lectures about how we should “work together,” “take initiative,” and the like. These weren’t backed up with mechanisms that actually enabled or rewarded these behaviors, so the speeches were worse than nothing at all; they sounded hypocritical and the speakers out of touch.

Apelle allein helfen nicht. Erneut ein Lessons-Learned-Workshop, noch ein Emergency Meeting, die nächste Strategieklausur. Solange das Ergebnis ein Appell an Besserung ist, vernachlässigt dieses Vorgehen die Grundaufgabe von Führungskräften: Strukturen schaffen, die die gewünschte Praxis unterstützen.

Don’t preach and hope for ownership; implement mechanisms that actually give ownership.

Man könnte also fordern „Übernehmt mehr Verantwortung!“ und auf Besserung hoffen. Anders angelegt ist hingegen z.B. der oben zitierte Mechanismus „I intend to“: Die verordnete Formulierung verschiebt das psychologische Eigentum weg vom Leader-Follower hin zum Leader-Leader-Ansatz. 

Damit bewegt sich Marquet ganz im Rahmen der Organisationssoziologie (Stefan Kühl 2020). Dort wird zwischen Formalstruktur (Prozesse, Arbeitsanweisungen, etc.) und informaler Struktur (z.B. die „Kultur“ einer Organisation) unterschieden. Will man die informale Struktur ändern, muss man den Umweg über die formale Struktur gehen.

Marquets Kommunikationsmechanismen sind genau solche formalen Strukturelemente.

Behavioristische Anflüge

Vielleicht beeinflusst vom militärischen Umfeld, scheint in Turn the Ship Around an diversen Stellen ein etwas behavioristisches Menschenbild durch, das nicht so recht zum zuvor aufgestellten Modell von intrinsischer Motivation passt.

In order to […] keep my cool, I had a poster made. […] In the poster, I am standing in front of my dog Barclay saying “Sit.” The dog was standing. The first eight frames were identical. “Sit, sit, sit,” etc. No recriminations, no admonishments, just “sit.” In the ninth and last frame, Barclay is sitting and the caption is “Good dog.” I hung this on the back of my stateroom door. Since my door was open most of the time, visitors didn’t see it, but I would.

Illustrieren soll das Poster den Mechanismus „Continuously and Consistently Repeat The Message”. Dabei geht es darum, eine gemeinsame Zukunftsvision durch wiederholte Kommunikation zu schärfen und auch die Bequemlichkeit zu lösen, die bei Menschen auch dann einer Veränderung im Weg steht, wenn sie den Zielen oberflächlich zustimmen. Es mag sein, dass sowohl für die effektive Kommunikation auf der Santa Fe als auch die Dressur von Barclay viel Ausdauer vonnöten ist. Aber „Sit.“ kommuniziert Barclay wohl kaum die gemeinsame Zukunftsvision mit dem Ziel, dass er in Zukunft ein paar Aufgaben im Haushalt eigenverantwortlich übernimmt.

Ein weiterer Mechanismus, der psychologisch eher simpel daherkommt, ist „Use Immediate Recognition to Reinforce Desired Behaviors“. Dazu empfiehlt Turn the Ship Around:

Look at your structures for awards. Are they limited? Do they pit some of your employees against others? That structure will result in competition at the lowest level. If what you want is collaboration, then you are destroying it. Instead, have awards that are abundant, with no limit. They pit your team against the world—either external competitors or nature. I like to call these man-versus-nature as opposed to man-versus-man awards.

Das ist sicher besser als schlecht und sollte beim Gestalten von Belohnungssystemen bestimmt beachtet werden. Wichtiger ist aber die Frage, ob solche Belohnungssysteme überhaupt zum Einsatz kommen sollten. Denn wenn wir das zu Beginn postulierte Menschenbild vom aktiven und intrinsisch motivierten Wesen konsultieren, drängt sich die Frage auf, warum man überhaupt sofortige Belohnung benötigt. Denn aufgebrochen sind wir mit dem Ziel, dass jeder aus sich heraus das Richtige tut, und das nicht nur weil Preise winken. Genaugenommen sind Preise, Abzeichen, goldene Sterne und Lob das, was Marquet zu meiden versucht: Mechanismen, um Mitarbeiter zum korrekten Verhalten zu manipulieren. Der Einsatz extrinsischer Motivationssysteme droht sogar die intrinsische Motivation komplett zu unterwandern.

Im ähnlichen Kontext empfiehlt Marquet noch lose den Einsatz von Gamification. Da auch Gamification ein solches extrinsisches Motivationssystem sein kann, sollte es mit Vorsicht eingesetzt werden; z.B. bei tatsächlich langweiligen Tätigkeiten, bei denen auch objektiv kein innerer Antrieb zu erwarten ist, die aber dennoch irgendwie gemacht werden müssen. Pünktliche Zeiterfassung oder auch aktuelle und vollständige Mitarbeiter-Profile wären bei uns in der Firma vielleicht gute Einsatzgebiete.

Fazit

Schließlich ruft Marquet zu Emanzipation – nicht Empowerment – auf, um das menschliche Potenzial freizusetzen

[E]mpowerment still results from and is a manifestation of a top-down structure. At its core is the belief that the leader “empowers” the followers, that the leader has the power and ability to empower the followers. […] What we need is release, or emancipation. Emancipation is fundamentally different from empowerment. With emancipation we are recognizing the inherent genius, energy, and creativity in all people, and allowing those talents to emerge.

Der Dreiklang “control”, “competence” und “clarity” ist eine sehr griffige Gedankenstütze für die notwendigen Konzepte; die Beispiele aus dem U-Boot-Alltag veranschaulichen die Ideen und machen das Buch sehr kurzweilig. Im Nachwort erzählt Marquet davon, dass nicht alle Mechanismen in der Navy oder auch nur auf der Santa Fe Fuß gefasst haben. Aber gerade das macht das Buch sehr gut: Nicht die Lösung für Leadership präsentieren, sondern auch Absichten, Denkprozesse und Ideen erläutern, wie man konkrete Probleme identifizieren und lösen kann. Die Veränderung ist dann ein Prozess.

Wer würde nicht gern auf der Santa Fe mitfahren? Für wen ein U-Boot trotz allem nicht so reizvoll klingt, gibt es gute Nachrichten: Führungsmodelle gibt es auch unbewaffnet und an Land: Turn The Ship Around reiht sich ein in andere nennenswerte Werke über die Psychologie-Forschung und intrinsische Motivation, wie Drive (Daniel Pink 2011) und Punished By Rewards (Alfie Kohn 2018). Der Dreiklang Kontrolle, Kompetenz und Klarheit findet sich sogar als passgenaue Entsprechung zu den drei Säulen für intrinsische Motivation in Drive: Autorität, Mastery und Purpose. Alfie Kohn führt hingegen in der Breite aus, dass wir so viele extrinsische Motivationsstrukturen geschaffen haben, dass die niedrige Motivation von Menschen vielerorts nicht verwunderlich ist. Das beginnt schon im Kleinkindalter und setzt sich über die Schule in die Arbeitswelt lediglich fort.

Die Relevanz von Psychologischer Sicherheit in erfolgreichen Teams wird in The Fearless Organization (Amy C. Edmondson 2018) beschrieben.

Reinventing Organizations (Frederic Laloux 2014) stellt ein Modell von progressiven Organisationsformen vor, deren Eigenschaften, Strukturen und Methoden Motivation und Selbstorganisation fördern sollen. Corporate Rebels (Joost Minnaar, Pim de Morree 2020) tut das gleiche, aber etwas lockerer (und verzichtet auf ein zugehöriges Modell).

Die Organisationssoziologie basierend auf den Gedanken von Niklas Luhmann ist praxisnah beschrieben in Organisationen: Eine sehr kurze Einführung (Stefan Kühl 2020).